9. Juni 2022

Liebes Tagebuch,

jedes Jahr halte ich in unserer Firma Inhouse-Schulungen im Bereich Hygiene, da ich ja die Hygiene-Managerin bin. Vor allen Dingen spreche ich immer über Lebensmittel. Da wir diese oft zubereiten und verabreichen, müssen wir natürlich sehr darauf achten, dass diese noch in einem guten, nicht verdorbenen Zustand sind. Letzte Tage erzählte mir meine Nachbarin, dass sie eine Scheibe Kochschinken, die ihr nicht mehr so ganz frisch vorkam, noch gegessen hat. Und sie hat diese mit in eine Gemüsepfanne gepackt, weil sie gedacht hat, wenn sie diese erhitzt, dann ist alles abgetötet und dann kann ihr nichts mehr passieren. Ich sagte: „Oh, Anita, das darfst Du nicht machen.“ In meinen Schulungen sage ich immer deutlich: „Auf das Mindesthaltbarkeitsdatum achten. Aber sich vor allen Dingen auf seinen eigenen Geruch und Gefühl verlassen, das uns oftmals schon vor verdorbenen Lebensmitteln warnt. Und gerade Kochschinken sowie Fisch ist etwas, was ganz schnell mal „kippt.“ Das hat Anita dann auch ein paar Stunden später zu spüren bekommen. Aber noch viel unbedarfter ist eine Patientin von uns. Bei dieser muss Danny regelmäßig Tiefkühlprodukte sowie wie Vorratsschrank und Küchenschrank sichten und die Inhalte sortieren. Das bedeutet bei dieser Patienten, dass sie zumeist die Lebensmittel nur von links nach rechts schiebt, die Patientin das begutachtet und sagt: „Mmh, das habe ich also auch noch.“ Vor einiger Zeit hatte Danny aus der Tiefkühltruhe etwas selbst eingefrorenes, sollte dieses öffnen und nachschauen, was dort drin ist. Aber da das Tiefkühlgut komplett mit Eis bedeckt war, konnte sie das nicht herausfinden. Also nahm die Patientin sich eine Gabel, stach und kratzte die Eisschicht von dem Lebensmittel herunter. Es kam dann wohl eine undefinierbare rote Masse zum Vorschein. Das konnte sie dann probieren und kam zu dem Schluss, dass es wohl Heringstipp sein müsse. Danny machte ihr den Vorschlag, dass das doch mal in Müll sollte. Das lehnte die Patientin kategorisch ab, machte den Deckel wieder drauf und die Dose wurde wieder in der Tiefkühltruhe verfrachtet.
Danny erzählte weiter: Vor ein paar Tagen wurde der Inhalt des Küchenschranks sortiert. Dabei fand Danny eine Marmelade mit einem MHD von 1992. Und sagte auch hier zu der Patientin, dass das Glas wirklich in den Müll gehört. Die Patientin antwortete nur darauf: „Bist Du bescheuert?“ Und Danny stellte das Glas wieder zurück. Als Danny mir davon berichtete, erklärte ich ihr, dass die Marmelade nicht schaden würde. Vitamine gäbe es zwar auch nicht mehr und sicherlich würde sie auch nicht mehr so gut schmecken, verdorben wäre sie durch den hohen Zuckergehalt aber wahrscheinlich nicht. Beim Heringsstipp wäre ich mir da nicht so sicher. Vor allen Dingen, wenn sie den dann sommertags außerhalb des Kühlschranks auftauen lässt und er dann dort auch noch mehrere Stunden bei Zimmertemperatur steht. Dann kann es sein, der Salat schlägt nach dem Verzehr so richtig zu. Aber, wie ich immer sage, unsere Patienten sind alle erwachsen und schon groß und dürfen selber entscheiden, was sie noch essen dürfen und was nicht. Wir raten davon lediglich ab.

Deine Stephanie Fricke

3. Juni 2022

Liebes Tagebuch,
ich pflege ja eine ältere Dame, die sich immer sehr schick macht, wenn sie zur Tagespflege geht. „Man weiß ja nie wen man trifft.“
Vor einiger Zeit merkte sie an, dass ich wohl viele Schuhe hätte. Ja, hatte ich das bestätigt, habe ich auch, da ich nicht so lange immer mit ein und dem selben Paar laufen kann. Da muss ich öfter wechseln. Ich erklärte ihr aber auch, dass die Schuhe nicht immer neu sind sondern aus meinem Fundus im Keller. Jedes mal, wenn ich meine Schuhe gewechselt habe und sie wieder andere sieht, wird dieses auch angemerkt. Heute, habe ich gedacht, bekommt sie doch mal eine Retourkutsche. Da ich heute zum ersten mal wieder meine Sommerschuhe anhatte, sah sie dieses sofort und zeigte auf meine Füße. Ich erklärte ihr, dass auch diese Schuhe aus dem Keller sind und keine neu gekauften und fragte sie daraufhin, mit welchen Schuhen sie denn heute zur Tagespflege gehen wolle, ob sie barfuß dorthin wolle. Sie hatte nämlich vergessen ihre Schuhe, die sie nach der Pflege anzieht, mir passend für sie ins Badezimmer zu stellen. Daraufhin meinte sie, sie laufe nie barfuß. Ich antwortete ihr jedoch, heute schon und schmunzelte. „Denn ich hab ja mal wieder neue Schuhe an und Sie keine.“ Die Dame schaute direkt zu der Stelle, wo sie normalerweise ihre Tagesschuhe hinstellt. Aber dort stand nichts. Da musste auch sie schmunzeln und meinte: „Oh, die habe ich wohl vergessen.“ Natürlich habe ich ihr ihre Schuhe geholt, denn barfuß kann sie wirklich gar keinen Schritt laufen, weil sie wirklich gar keinen Halt hat. Aber schön sind solche kleinen Neckereien, wenn ich mich mit meinen Patienten gut verstehe, man sich schon gut kennt und natürlich weiß, wie der andere tickt.

Deine Stephanie Fricke

19. Mai 2022

Liebes Tagebuch,
soeben gab es ja ein Gewitter, Regen und somit auch eine schöne Abkühlung. Heute aber auch gestern war es ja fürchterlich schwülwarm. Ich persönlich liebe ja so ein Wetter. Draußen sind es fast 30 Grad, im Auto haben wir fast 70 und in den Badezimmern unserer Patienten sind es auch gut 30 Grad, denn da läuft meist noch die Heizung. Wir leben in der Pflege nach dem Motto: „Wir machen einen auf Thunfisch – im eigenen Saft ohne Aufguss.“ Wichtig ist, dass unsere Patienten nicht frieren. Denn schwitzen tun wir bei solch einem Wetter sowieso, ob die Heizung nun an ist oder nicht. Aber am allerwichtigsten ist die Flüssigkeitsaufnahme bei diesem Wetter und dazu mehr auf der Startseite.

Deine Stephanie Fricke

13. Mai 2022

Liebes Tagebuch,
ich pflege eine wirklich betagte Dame. Diese Dame geht regelmäßig zur Tagespflege. Und immer an diesen Tagen sucht sie sich etwas besonders Hübsches zum Anziehen aus. Dann kommen dann die „guten“ Hosen zum Vorschein und der „gute“ Pullover und darunter wird noch eine schicke Bluse angezogen, damit der Kragen am Hals doch ordentlich aussieht. Letzte Tage war es wieder soweit – die Tagespflege stand an. Ich half ihr beim Waschen und Anziehen. Anschließend ging sie ins Wohnzimmer. Dort lagen zwei Ketten und sie fragte mich, welche denn farblich wohl besser zu ihrem Pullover aussehen würde. „Ja“, habe ich ihr gesagt, „je öller, je döller.“ Und ich fragte sie: „Sie haben mir doch mal gesagt, dass dort in der Tagespflege keine Männer sind.“ Für wen sie sich denn immer so schick machen würde. Darauf lächelte sie verschmitzt und sagte: „Man weiß ja nie, wen man so trifft.“ Es ist einfach die Interaktion mit dem Menschen, die mir so Spaß macht bei meinem Beruf. Und vor allen Dingen das Wahrnehmen unserer Senioren als Menschen mit Wünschen und Bedürfnissen. Was ich überhaupt nicht mag, ist wenn der Ausspruch kommt: „Oh, wie süß“ oder „Die Oma ist ja niedlich.“ Keine erwachsene Frau möchte als niedlich beziffert werden und auch im hohen Alter als Mensch wahrgenommen und respektiert werden.

Deine Stephanie Fricke

4. Mai 2022

Liebes Tagebuch,
fast täglich kommt mich eine nette Mitarbeiterin von Brief und Mehr besuchen, um mir die Post zu bringen. Am ersten Tag schaute sie verstohlen in unsere Süßigkeitenschale, die vorne auf unserer Theke steht, und fragte, ob sie sich wohl ein Bonbon nehmen dürfte. Ich antwortete: „Ja gerne, Sie dürfen sich auch zwei nehmen, eins für jetzt und eins für unterwegs.“ Ich versuche auch immer darauf zu achten, dass die Schale mit allerhand Leckereien gefüllt ist, weil nicht nur sie gerne nascht sondern auch alle anderen Brief- und Paketboten, sowie auch Patienten und deren Angehörige, die uns besuchen kommen. Natürlich naschen meine Mitarbeiter und ich auch gerne. Von daher ist die Schale zumeist schnell leer. Letzte Tage wollte die nette Dame von Brief und Mehr zu mir wieder ins Büro. Aber sie kam gar nicht so weit. Denn Jenny wollte aus Freundlichkeit ihr die Briefe vor unserer Tür abnehmen, damit die Dame sich den Weg spart. Ich sah dies und rief sofort: „Nein, nein, nein, Jenny, unsere Briefträgerin muss bis zur Theke laufen, sonst kann sie keine Bonbons naschen.“ Die Briefträgerin sagte: „Genau.“, nahm Jenny die Briefe wieder aus der Hand, kam bis zur Theke, legte die Post ab und nahm sich zwei Schokobonbons und sagte: „Eins für jetzt und eins für später.“, lachte und ging hinaus.
So kleine, freundliche Begegnungen im Leben ist doch das, was mir sehr viel Freude bereitet und unsere kleine Welt um uns herum ein bisschen glücklicher macht, wo doch gerade die große Welt so traurig und voller Gewalt ist.

Deine Stephanie Fricke